„Verbietet das Bauen!“, „Stoppt den Neubau!“, „Wir fordern ein Abriss-Moratorium“, so oder ähnlich lauten die provokanten Forderungen vieler Expertinnen und Experten. Das Vorarlberger Architektur Institut untersucht in der Ausstellung „Refuse, Reduce, Re-use, Recycle, Rot“ Strategien für eine ökologisch verträgliche Baupolitik. Fazit: Das ökologischste Bauvorhaben ist jenes, das nicht gebaut wird.
Clemens Quirin, Kurator der Ausstellung, lenkt den Blick auf die großen Zusammenhänge: „In den vergangenen 50 Jahren hat sich der Gebäudebestand beinahe verdoppelt. Im selben Zeitraum ist die Bevölkerung aber nur um 20 % gewachsen“, sagt Quirin. „Der Gebäudesektor ist für 40 % unserer Treibhausgase verantwortlich. Ein wesentlicher Teil davon entfällt auf den Bau der Gebäude. Jeden Tag werden in Österreich 12 ha Boden verbaut. Und es gelingt uns nicht, das Bauen auf ein verträgliches Maß einzuschränken.“
Dabei sind Ursachen seit Jahren bekannt. Hauptbrandbeschleuniger der österreichischen Bodenversiegelung ist das System der Gemeindefinanzierung: Es „belohnt“ Gemeinden, die im unmittelbaren Wettbewerb zu ihren Nachbargemeinden mehr Bauland für Betriebsflächen und Wohnungsneubau ausweisen mit höheren Kommunalsteuereinnahmen und Finanzausgleichsmitteln des Bundes. Auf dieser Klaviatur können Handelskonzerne, Gewerbe und Wohnbauträger erfolgreich ein Neuflächenversiegelungserpressungsspiel zwischen den Gemeinden betreiben: „Wenn ich meinen Supermarkt nicht direkt am Kreisverkehr in Deiner Gemeinde bauen darf, dann baue ich ihn eben 400 m weiter in der Nachbargemeinde.“ Nirgends in Europa gibt es mehr m² Handelsfläche pro Einwohner als in exponierten Regionen in Österreich.
Gleichzeitig haben wir in den historischen Ortskernen enorme Leerstände sowohl in den Handelsflächen im Erdgeschoss als auch im Wohnungsbestand. Quirin reduziert dieses Problem auf eine einfache Frage: „Bevor man anfängt zu bauen, sollte man sich die Frage stellen: Muss ich überhaupt bauen? Kann man nicht vielleicht einen schon vorhandenen Bestand nutzen?“
Die Ausstellung beschränkt sich dabei nicht auf das Beleuchten einzelner erfolgreicher Pilotprojekte, sondern spürt den systemischen Grundsatzfragen nach, die für eine ökologisch und ökonomisch verträgliche Baupolitik gelöst werden müssen. Die strategischen Ansätze dazu reduziert die Ausstellung auf 5 Rs:
Refuse: Im Sinne von Neubauverweigerung, wenn die gleiche Gebäudefunktion in bereits vorhandenem Altbestand untergebracht werden könnte.
Reduce: Im Sinne von Flächen- und Ressourcenverbrauchsreduktion, wo immer es möglich ist. Neue Arbeitsformen erlauben Büroflächenreduktionen. Viele alleinstehende Personen wohnen in Wohnflächen für ganze Großfamilien. Statt weiter zu bauen, wäre es viel sinnvoller, Flächenumverteilungs- und Reduktionsstrategien und das dafür nötige begleitende Management zu fördern. Neue Technologien können zur Mengenverbrauchsreduktion von Baumaterialien beitragen: Carbonfaser-armierter Beton beispielsweise kann mit einem Bruchteil an Zement und Sand die gleiche Tragkraft erreichen wie herkömmlicher Stahlbeton.
Re-use: Im Sinne einer Wiederverwendung von in Altbauten schon vorhandener Bauelemente. Viele Bauteile alter Gebäude können, wenn sie fachgerecht ausgebaut werden, wiederverwendet werden. Dieses „Urban Mining“ erfordert aber eine grundlegende Neuausrichtung der Abbruch- und Recyclingwirtschaft. Und es erfordert auch völlig neue Denkweisen und Planungsabläufe bei Architekt:innen: Statt Entwürfe nur am Computer zu entwerfen und dann bei der Industrie nach Maß die Bauteile zu ordern, muss man sich zuerst vergewissern: Welches Material steht mir zur Verfügung. Und was lässt sich daraus machen.
Recycle & Rot: Dahinter steht die Forderung möglichst nur recyclebare und erneuerbare Materialien zu verwenden. Die der Natur entnommen wurden und in ihr auch wieder verrotten können: Holz, Stampflehm, natürliche Dämmmaterialien etc.
Diese strategischen Ansätze beinhalten auch einen ganz wesentlichen wirtschaftspolitischen Aspekt, der gerade für das ressourcenarme Europa von großer Bedeutung ist: Die 5 Rs haben einen enormen Beschäftigungseffekt, bei gleichzeitiger Ressourcenverbrauchsreduktion. Denn im Bereich der Sanierung und der Reuse-/Recycling-Wirtschaft werden viele neue Arbeitskräfte vor allem in Klein- und Mittelbetrieben benötigt.
Im Weg stehen lediglich die Lobbying-Interessen der Bau- und Immobilienbranche und die Flächenwidmungs-Pfründewirtschaft der Ortskaiser. Na dann:
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REFUSE, REDUCE, RE-USE, RECYCLE, ROT
vai – Vorarlberger Archichtektur Institut
29.09.2023 – 24.02.2024
www.v-a-i.at