Der renommierte britische Publizist und Stadtforscher Charles Landry ist einer der Pioniere wenn es um die Nutzung von Kreativität und Vorstellungskraft im urbanen Wandel geht. In unserem Interview spricht er über die Entwicklung der „Smart City“, deren Auswirkungen auf Stadtbewohner und das gesellschaftliche Leben und kollektive Intelligenz als Instrument für Stadtentwicklung.
In den letzten Jahren gab es eine Reihe von Stadtentwicklungsprojekten, die unter dem Begriff der „Smart Cities“ gestartet wurden. Sie waren von Beginn an in die Gespräche über Smart Cities involviert und haben sich intensiv mit den Auswirkungen und dem Einfluss des digitalen Zeitalters auf das Leben in Städten beschäftigt, zum Beispiel in Ihrem Buch „Die digitalisierte Stadt“. Können Sie uns aus Ihrer Sicht erzählen, wie sich das alles entwickelt hat?
Ich glaube, es war LA, das 1974 die ersten Datencluster entwickelt hat. Aber eigentlich waren es Marleen Stikker und ihre Kollegen in Amsterdam, die 1993 die Idee von „De Digitale Stad“ (Die Digitale Stadt) erfanden. Und sie waren sich bereits all der Probleme bewusst, die wir jetzt diskutieren, wie zum Beispiel, wem die Daten gehören und wer das Wissen hat. Als dann Firmen wie IBM und Cisco ins Spiel kamen, wurde alles anders. Und das nahm Fahrt auf.
Ich erinnere mich, dass ich bei den beiden Weltkongressen dabei war, beim ersten in Barcelona 2011 und dann in Bologna 2013. Damals habe ich das Potenzial dessen, was ich immer noch als „smart“ bezeichnen würde, wirklich verstanden: die Art und Weise, wie man Menschen einbeziehen kann und der Prozess von den Bürgern vorangetrieben werden kann.
Aber stattdessen werden die Prozesse von großen Technologie Unternehmen vorangetrieben, die ein anderes Ideal verfolgen.
Was mir im Moment wirklich auffällt, wenn ich an verschiedene Silicon-Valley-Typen denke, ist die Sprache die sie verwenden. Zu Beginn stand die Frage „Wie kann das mehr Bürgern helfen, glücklich zu sein und ihr Potenzial zu erfüllen?“ im Raum. Aber die Sprache, die sie dann weiter benutzten, war keine von der ich denke, dass wir sie benutzen sollten, was eine Sprache des öffentlichen Interesses wäre. Sie sagten: Wie können wir die Effektivität der Städte messen und was sind ihre KPIs? Dan Doctoroff, der Typ, der die Sidewalk Labs in Toronto gegründet hat, die inzwischen eingestellt wurden, sagte: Wie können wir eine Stadt vom Internet aus aufbauen?
Und was denken Sie ist das Problem dabei?
Wir wissen, dass es Optimierungsprozesse gibt, die erreicht werden können, und natürlich kollaborative Prozesse – aber es geht immer um Optimierung. Und ich frage mich wirklich: Optimierung von was? Es wird vergessen, dass Menschen seit Jahrhunderten darüber nachgedacht haben, wie man großartige Orte auf verschiedene Weise gestaltet, und ich bin einfach besorgt darüber, dass ein Teil dieses Wissens, oft kulturelles Wissen, völlig ausgeklammert wird. Es gibt einige großartige Projekte, ich mag zum Beispiel den WienBot, der kein Googleprojekt, sondern ein Wiener Stadtprojekt ist. Sharing City Seoul ist interessant, Better Reykjavík, Block by Block in Nairobi und auch die Dinge, die Nesta in Großbritannien intensiv gefördert hat.
Was haben all diese Projekte, die Sie erwähnt haben, gemeinsam?
Ich denke, die Schlussfolgerung all dieser Projekte ist im Grunde, dass viele Smart-City-Ideen von oben nach unten nicht halten, was sie versprechen. Sie sind sehr teuer und haben eine relativ geringe Rendite. Kollaborative Technologien sind vielleicht ein besserer Weg, um die Dinge anzugehen. Eine intelligentere Art, Entscheidungen zu treffen. Und natürlich ermöglichen sie es den Menschen, Gestalter, Macher und Ko-Kreatoren ihrer sich entwickelnden Städte zu sein. Durch Feedback-Schleifen und Instrumente wie diese.
„Ich persönlich glaube, dass man mit Daten erstaunliche Dinge erreichen kann. Ich will damit nur sagen, dass es auf die Kontrolle der Daten ankommt. Man braucht offene Datenplattformen um kollektives Wissen zu mobilisieren.“
Kollaborative Technologien und Smart-City-Ideen, die von unten nach oben gehen, bedeuten, dass wir an einem lokalen Ausgangspunkt ansetzen müssen. Was kann auf lokaler Ebene getan werden, um die Vorherrschaft bei Smart-City-Projekten zurückzuerobern, was die öffentliche Hand betrifft?
Es geht ganz klar um Daten in öffentlichem Besitz. Viele Menschen erkennen, dass sie oft nationale und lokale Regierungen und damit in gewissem Maße ihre Autonomie aufgegeben haben. Hier kommen wir wieder zu dem Punkt, dass öffentliche Behörden oder Einrichtungen die im öffentlichen Interesse arbeiten, mehr Vertrauen in ihre Rolle und Position haben sollten. Und die COVID-Krise hat eindeutig gezeigt, was die Arbeit im öffentlichen Interesse bewirken kann
Was müssen Städte also beachten, wenn sie ein Smart-City-Projekt starten, das in den Händen lokaler Akteure liegen sollte?
Der Ausgangspunkt ist sicherzustellen eine Art städtisches Innovationslabor zu haben, das kollaborative Technologien vorantreibt. Es kommt immer auf die Frage zurück „Was will ich mit meiner Stadt erreichen?“ Wenn man neu anfängt, sollte sich jede Stadt einfach daran erinnern, was ihre Ambitionen und Visionen sind. Die Datenfragen sind dann subsidiär, um diese Visionen zu erreichen. Die Art und Weise, wie wir Städte definieren und über sie nachdenken, geht sehr oft von den Daten als Erstes aus, und das führt oft zu einer Situation, in der die Daten alles bestimmen. Ich persönlich glaube, dass man mit Daten erstaunliche Dinge erreichen kann. Ich will damit nur sagen, dass es auf die Kontrolle der Daten ankommt. Und natürlich braucht man offene Datenplattformen um kollektives Wissen zu mobilisieren.
Was können Städte tun, um die Kontrolle über Daten nicht zu verlieren?
Datenhoheit ist eine Sache, die das verankert. Ich würde sagen, wir brauchen eine Reihe von strategischen Prinzipien darüber, wie Daten erstellt, verwaltet und operationalisiert werden. Aber wir müssen taktisch flexibel sein und überlegen, wie wir innerhalb dieser Prinzipien, die uns an den guten Dingen festhalten, Potenziale generieren können.
Offene Daten und kollektives Wissen sind zwei Schlagworte, die im Zusammenhang mit Smart Cities sehr häufig verwendet werden. Versprechungen, das Leben bequemer und effizienter zu machen, gehen Hand in Hand mit den Bedrohungen, von Algorithmen kontrolliert zu werden, Datenüberlastung und Überwachung. Wie können kollektive Intelligenz und offene Daten dazu beitragen, diese Bedrohungen zu minimieren und trotzdem das Leben zu optimieren?
Bei kollektiver Intelligenz geht es tatsächlich darum, Barrieren aufzubrechen und Grenzen zwischen verschiedenen Sektoren und Wissensformen zu überwinden. Städte waren schon immer die Aufbewahrungsorte von Wissen. Sie hatten Archive, in denen die Urkunden und Karten lagen. Man hatte Bibliotheken und Museen, die die Art von physischen Artefakten und kulturellen Erinnerungen an Orte aufbewahrten. Aber was so gut an diesen Institutionen wie Bibliotheken war, ist, dass sie wirklich Beurteilungsmechanismen hatten, um unseren Müll zu filtern, um Vorurteile zu betrachten und den Menschen zu helfen, Bias zu verstehen. Ich denke über eine Institution nach, die entworfen werden muss, die so etwas im positiven Sinne tut.
„Alles, was mit Städten zu tun hat, vor allem, wenn es sich um Technologie handelt, braucht einen Zweck. Und dieser Zweck muss ein ethischer sein.“
Wenn Sie von Bias sprechen, was meinen Sie damit? Den Bias, die Voreingenommenheit, von wem oder was?
Die Frage ist: Was ist die Gedankenwelt des algorithmischen Schöpfers, des KI-Spezialisten. Was ist sein Bias? Versteht er kulturelle Unterschiede? Und deshalb denke ich, dass wir ein bisschen vorsichtig sein müssen. Unser Repertoire an urbaner Intelligenz muss sich erweitern, Historiker, Philosophen, Ökonomen müssen zusammenarbeiten. Wir müssen uns daran erinnern, dass urbanes Wissen eingebettet ist in die Spuren, die Gebäude, die Flora, die Treppen und Aktivitäten einer jeden Stadt.
Trotz dieser anschaulichen, blühenden Beschreibung einer Stadt denken viele Menschen an die Stadt als einen Computer. Was ist das Problem dabei?
Ich denke, das ist Unsinn. Ein anderer Ansatz ist die Stadt als ein Organismus, der die harte Infrastruktur, die weiche Infrastruktur, Emotionen und alles miteinander verbindet. Eine Sache, die passiert, wenn wir die Stadt als einen Computer sehen, ist, dass es die Art und Weise beeinflusst, wie wir über Stadtdesign nachdenken und öffentlichen Raum planen, es beeinflusst, wie wir über die Erfahrung der Bewohner denken. Ich finde, es kann auch die Schaffung von gesunden, widerstandsfähigen Städten behindern. In dem Modell der Stadt als Computer ist das Straßenbild die Oberfläche, Sie sind der Cursor und Ihr Smartphone ist das Eingabegerät. Das spricht die Menschen an, weil es die Unordnung des öffentlichen Lebens und des städtischen Lebens so darstellt, als wäre es programmierbar und einer völlig rationalen Ordnung unterworfen.
Obwohl die Stadt in Wirklichkeit nicht programmierbar ist?
Die Realität unserer städtischen Ökologie ist, dass sie eindeutig nicht algorithmisch ist. Nicht alles, was wir wissen und was in Städten passiert, kann als Information oder letztlich als Daten betrachtet werden. Man kann keine lokalen kulturellen Effekte verarbeiten, man kann nicht innerhalb der generationsübergreifenden Entwicklung eines Viertels ableiten. Und all das geht über reine Berechnungen hinaus. Ich denke, urbane Intelligenz beinhaltet eine ortsbezogene Basiserfahrung, indem man vor Ort ist, teilnehmende Beobachtung betreibt, sich auf die Sinne einlässt und sinnliche Erfahrungen macht. Deshalb denke ich über Städte und eine neue Terminologie nach, die nicht als berechenbar angesehen werden kann. Ich bin mir nicht sicher, ob ich möchte, dass die Berechnungslogik für immer der Treiber dafür ist, wie wir Städte sehen, bauen und umgestalten. Alles, was mit Städten zu tun hat, und vor allem, wenn es sich um Technologie handelt, braucht einen Zweck. Und dieser Zweck muss ein ethischer sein.
Charles Landry ist ein britischer Publizist, Autor und Städteforscher. Er war einer der Mitinitiatoren des UNESCO City of Design Netzwerks und ist insbesondere für die Entwicklung des Konzepts der „Creative City“ bekannt. Im Jahr 1978 gründete er Comedia, eine hoch angesehene, global ausgerichtete Beratungsagentur, die tiefgreifende Trends, kreatives Potenzial, Kultur und städtischen Wandel untersucht.
Charles Landry charleslandry.com
Comedia www.comedia.org.uk