17.07. – 31.08.2021.
EINE HUMANISTISCHE UTOPIE – Julian Nida-Rümelin wurde eingeladen, die Festrede der diesjährigen Salzburger Festspiele zu halten. Mit einem Plädoyer für einen pragmatischen Utopismus.
Als die Salzburger Festspiele aus der Taufe gehoben wurden, ging gerade der 1. Weltkrieg zu Ende. Unter dem Eindruck des Elends, das der „große Krieg“ mit sich gebracht hatte, sollte es ein Fest des Friedens werden. Nicht einmal zwei Jahrzehnte später hatten die Nazis beinahe ganz Europa in ihrem Würgegriff. Die Salzburger Festspiele mit eingeschlossen.
(c) Luigi Caputo, Salzburg Museum: 100 Jahre Salzburger Festspiele: Arturo Toscanini sagt 1938 nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland seine Teilnahme an den Salzburger Festspielen aus Protest ab.
Die Absage Arturo Toscaninis an den Salzburger Festspielen nach Österreichs Anschluss an Nazi-Deutschland teilzunehmen, verdeutlicht eine der zentralen philosophischen Positionen von Julian Nida-Rümelin, dem diesjährigen Festredner der Salzburger Festspiele.
In seiner Arbeit über Entscheidungstheorie und Ethik lehnt Rümelin konsequenzialistische Handlungsmodelle zur Analyse moralischen Verhaltens ab. Toscaninis Absage ließe sich damit beispielsweise auch nicht erklären. Nida-Rümelin steht auf dem Standpunkt, dass nur der Mensch selbst die Gründe seines Handelns kennt.
In seinem Hauptwerk “Eine Theorie der praktischen Vernunft” geht Nida-Rümelin auf kritische Distanz zum Naturalismus und Physikalismus: „Physikalisch lässt sich kein psychisches Erleben interpretieren“, hält er fest. Die aktuell vorherrschenden Paradigmen in der Ökonomie qualifiziert er als „Mystizismus“. Seine Kritik verdeutlicht er zum Beispiel an dem weithin vorherrschenden Paradigma, dass wir unsere Entscheidungen in erster Linie nach rationalen Prinzipien der Nutzen- und Interessensoptimierung treffen würden. Kooperatives Verhalten ließe sich mit solchen Paradigmen aber nicht erklären, hält er fest.
Auch neurowissenschaftliche Erklärungsversuche, wie wir Entscheidungen treffen, lehnt Nida-Rümelin ab: „Das Gehirn entscheidet nichts“, postuliert er. Demgegenüber spricht er von einer pragmatischen „Einheit der Vernunft“, die auch Phänomene wie Ehrlichkeit und Fairness miteinbeziehen würde und vertraut so auch auf die „Vernunftfähigkeit“ des Menschen.
Nida-Rümelin, der kurze Zeit auch Deutscher Kulturminister in der Regierung Schröder war, ist überzeugt, dass der Mensch zur Entfaltung seiner selbst auch Utopien braucht: “Der moderne Mensch kann nicht ohne Utopie leben, andererseits wird er durch den Utopismus gefährdet. Ein pragmatischer Humanismus ist die Alternative in unübersichtlichen Zeiten”, plädiert Nida-Rümelin für einen pragamtischen Umgang mit utopischem Denken.
Diese Denkansätze wendet er auf die verschiedensten dringlichen Probleme und Themen unserer Zeit an. Zum Beispiel auf den Bildungsbereich: In seiner Philosophie einer humanen Bildung kritisiert er, dass dem Bildungssystem in den meisten Europäischen Demokratien eine kulturelle Leitidee fehlt und es deshalb zu einem Apparat verkommen sei, dass junge Menschen lediglich nach dem Postulat der Erzeugung von „Employability“ durch sein System schleust.
Das Manuskript der Festrede von Julian Nida-Rümelin lag zu Redaktionsschluss dieses Magazins noch nicht vor. Fest steht aber schon jetzt: Die Staatenlenker und Wirtschaftsmagnaten des Festspielpublikums werden nach seiner Rede in der Salzburger Felsenreitschule höflich applaudieren.
Und danach zum Buffet gehen.
Text übernommen aus der Printausgabe des CREATIVE AUSTRIA Magazin. Redaktionsschluss: 26. Juni 2021
Die Rede von Julian Nida-Rümelin gehalten beim Festakt zur Eröffnung der Salzburger Festspiele am 25. Juli 2021:
https://www.salzburg.gv.at/kultur_/Documents/Festspiele2021_Rede4_Nida-Ruemelin.pdf
Festakt in der Felsenreitschule
Mit der Festrede von Julian Nida-Rümelin
25.07.2021, 11 Uhr
Salzburger Festspiele
17.07. – 31.08.2021
www.salzburgerfestspiele.at