08.06. – 12.09.2021.
Was wird aus dem „Produktionsmittel Mensch“ wenn KI und Roboter einen Großteil unserer heutigen Arbeit übernehmen? Wie sieht ein zukünftiges „Kooperatives Arbeiten“ zwischen Menschen und Maschinen aus?
Virtuelle Arbeits- und Testumgebungen statt Büros und Labors, sprechende KI-Systeme anstelle persönlicher Assistentinnen und Teams, in denen Menschen und Roboter sprichwörtlich Schulter an Schulter forschen, entwickeln, operieren, montieren und bauen? Wenngleich Mensch-Maschine-Seilschaften à la Tony Stark und J.A.R.V.I.S. wohl eher Science-Fiction bleiben, steht außer Zweifel, dass neue Technologien unsere Arbeits- und Lebenswelt revolutionieren.
Mit einer neuen Ausstellung widmen sich die Arbeiterkammer OÖ und Ars Electronica deshalb der Frage, wie „Die Arbeit in und an der Zukunft“ aussehen könnte. Die Schau legt den Fokus auf brisante Themencluster wie „Arbeit und digitale Transformation“, „Kooperatives Arbeiten: von Menschen und Maschinen“, die „Tools der Zukunft“ oder „Humanizing Technology“ und beinhaltet zahlreiche Kunstwerke und Forschungsprojekte. Die Erzählstränge der Ausstellung führen quer durchs Haus, vorbei an interaktiven Installationen und den Labs des Ars Electronica Center. Im Mittelpunkt steht dabei nie das Leistungsvermögen neuer Technologien, sondern ihr Potenzial für unsere gesellschaftliche Weiterentwicklung.
Cluster 1 oder was „Arbeit“ eigentlich bedeutet
Plopp! Plopp! Plopp! Wohl jede*r von uns hat schon Luftpolsterfolie zerdrückt und dabei ein luftgefülltes Pölsterchen nach dem anderen platzen lassen. Zugegeben, es ist ein relativ sinnloser Zeitvertreib, der aber vor allem dann, wenn wir unter Stress und Zeitdruck stehen seine ganze eigene Faszination ausübt … Mit „Under pressure“ wirft ::vtol:: einen ironischen Blick auf das Verhältnis von Mensch und Roboter. Letztere verkörpern stets jene ideale Arbeitskraft, die nie schläft, keine Pause braucht und keine Nerven zeigt. Was aber, wenn nicht wir versuchen würden, wie Roboter zu performen, sondern umgekehrt Roboter ein klein wenig mehr wären wie Menschen? Was, wenn Roboter in stressigen Zeiten zwischendurch einfach mal mit Luftpolsterfolie spielen?
Was wir mit dem Begriff „Arbeit“ meinen, welche Rolle sie in unserer Gesellschaft spielt und was „Arbeit“ im und für das Leben jede*s einzelnen bedeutet, ist alles andere als klar. Erste Station und gedanklicher Ausgangspunkt der Ausstellung ist deshalb eine Standortbestimmung und die Frage, was „Arbeit“ eigentlich ist?
Cluster 2 oder warum die Digitalisierung jetzt alles ändert – und das schon seit Jahren
War Arbeit im 20. Jahrhundert in aller Regel an fixe Zeiten und Orte gebunden, hat sich dieser Umstand nicht zuletzt durch neue technologische Möglichkeiten verändert. Zwar sind heute noch immer bloß 9,1 Prozent der Österreicher*innen atypisch beschäftigt (der EU-Schnitt liegt hier bei 14,1 Prozent), die 15- bis 24-Jährigen sind mit 33,3 Prozent dabei aber überproportional vertreten.
Ob Berichterstattung, Konferenzen, Vorträge oder Workshops – seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten ist ihr Tenor stets der gleiche: „Jetzt rollt die Digitalisierung an und sie verändert alles“. Was genau und wie sie alles verändert und vor allem weshalb sie das immer wieder „jetzt“ macht, ist dabei nie ganz klar. Warum ist das so? Die zweite Station der Ausstellung thematisiert, dass mit dem omnipräsenten Begriff der „Digitalisierung“ nicht bloß die Umwandlung analoger Werte in digitale Signale, sondern ein gesamtgesellschaftlicher – langfristiger – Prozess gemeint ist. Die wahre (digitale) Revolution ist alles andere als ein „Big Bang“; sie rührt nicht vom bloßen Auftauchen einer neuen Technologie her, sondern ihrer mitunter nicht absehbaren Nutzung und der dadurch angestoßenen Veränderungen unseres Verhaltens. Jüngstes Beispiel ist die Corona-Krise: Nicht Zoom und Co waren neu, sondern die Tatsache, dass wir diese Tools von heute auf morgen im Home-Office nutzten.
Cluster 3 oder wie Arbeit und Digitalisierung zusammengehen
Bleiben wir noch kurz bei Zoom und Co. Nach mehr als einem Jahr der „Physical Distance“ haben die meisten von uns erlebt, welche Vorteile ein (Zusammen-) Arbeiten mit digitalen Tools bietet und welche Nachteile es hat. Dieser ebenso unfreiwillige wie globale Feldversuch wird zweifelsohne seine Spuren in der Arbeitswelt hinterlassen – darüber, wie diese aussehen sollen, gilt es nun einen gesellschaftlichen Konsens zu finden. Station 3 der Ausstellung bleibt nicht bei den viel zitierten Regelungen fürs Home-Office stecken, sondern stellt die generelle Frage, wie viel Flexibilität unsere Arbeitswelt in Zukunft prägt und welche Rolle digitale Tools spielen? Unabhängig davon, welche Berufsbilder dadurch neu entstehen oder auch verschwinden, geht es um die Frage, wie wir dafür sorgen können, dass sich all diese Veränderungen sozial und fair vollziehen.
Cluster 4 oder unsere Daten sind das neue Öl
„Welcome to AI Oracle. By entering this cube you agree to our terms of scanning all your existing data and selecting a future job for you. Welcome to the future! You shall now be scanned!“ Mit dem Forschungs- und Vermittlungsprojekt „AI Oracle“ thematisieren „Collective no:topia – International art collective” den Umgang mit unseren Daten. Welche und wie viele unserer Daten müssen wir preisgeben, um an einer von Technologie geprägten Zukunft teilhaben zu können? Wo ziehen wir unsere Grenzen und wie setzen wir sie durch?
89 Prozent der Österreicher*innen nutzen regelmäßig das Internet, 95 Prozent davon via Smartphone. Fast 6 Stunden sind die Menschen hierzulande täglich online, kaufen ein, buchen ihre Urlaube, kommunizieren mit Freund*innen, hören Musik, schauen Videos und spielen – kurz, weil wir uns tagtäglich und selbstverständlich in digitalen Räumen bewegen, produzieren wir andauernd Daten. All diese Daten geben Aufschluss über unsere Gewohnheiten, Interessen und Vorlieben und sind für Wirtschaft wie Politik daher von allergrößtem Interesse. Grund genug also, um eindeutige Spielregeln zu fordern, wenn es um den Umgang mit unseren Daten geht – und genau um den geht’s in Station 4 der Ausstellung. Der Schutz unserer Privatsphäre und Fairness müssen in Zukunft ebenso garantiert sein, wie Innovation und technologische Weiterentwicklung möglich sein müssen. Klar ist, wer Zugang zu Daten hat, kann heute Wissen generieren, was morgen Macht bedeutet.
Können wir KI-Systeme so gestalten, dass ihre Empfehlungen – ihre „Schlussfolgerungen“ – fair und objektiv sind? Genau daran arbeitet die Retorio GmbH. Ihre videogestützte Human Resource Software verbindet KI mit Erkenntnissen der Psychologie und Organisationsforschung und hat anhand hunderttausender Videos gelernt, Menschen vorurteilsfrei einzuschätzen.
Verarbeitet werden all die Daten längst nicht mehr von Menschen, sondern von Algorithmen. Algorithmen, von denen sich die Europäer*innen im besten Fall effiziente und genaue Entscheidung sowie Zeitersparnis erhoffen, sich gleichzeitig aber darüber sorgen, ob Programmier*innen nicht zu viel Macht bekommen und Tür und Tor für Manipulation geöffnet werden.
Cluster 5 und die Tools der Zukunft
Exoskelette können Arbeitnehmer*innen – etwa in der Industrie – körperlich entlasten und Muskel- und Skeletterkrankungen vorbeugen. Je nach Tätigkeit und beanspruchter Körperregion gibt es dafür unterschiedliche Lösungen: Das „Paexo Shoulder“ von Ottobock unterstützt bei Überkopf-Arbeiten, indem das Gewicht der Arme mittels einer mechanischen Seilzugtechnik auf die Hüfte abgeleitet wird. Das „Paexo Thumb“ hilft bei repetitiven Arbeiten, die den Daumen stark beanspruchen. Das „Cray X“ von German Bionix wiederum ist das weltweit erste vernetzte Exoskelett, das als intelligentes Bindeglied zwischen Mensch und Maschine selbstlernend Hebebewegungen verstärkt und Fehlhaltungen verhindert.
Die Geschichte unserer Spezies ist geprägt von Technologie. Die ältesten, bislang gefundenen Werkzeuge datieren aus der Altsteinzeit vor mehr als 2,5 Millionen Jahren und es ist kein Zufall, dass wir alle darauffolgenden Abschnitte unserer Erfolgsstory stets nach Rohstoffen und damit verbundenen Technologien oder Produktionsverfahren benennen. Auch heute stecken wir wieder mitten in einer tiefgreifenden Transformation, die viele als die Vierte Industrielle Revolution bezeichnen. Station 5 der Ausstellung ist in den Labs des Ars Electronica Center verortet und offenbart die Möglichkeiten von Verfahren wie 3D-Druck, Tools wie Exoskelette oder Feldern wie der Materialforschung.
„Komagataeibacter Xylinus“ ist ein aerobes Essigsäurebakterium, das mithilfe von Sauerstoff Zucker in Cellulose umwandelt. Genau das macht sie für Miriam Eichinger und Emanuel Gollob und das gesamte Team von „Fashion & Robotics“ interessant, könnten diese Bakterien künftig im textilen Bereich eine Alternative zur Baumwollpflanze bieten. Die Grundlagenforschung „Grow Whole Garments“ soll Erkenntnisse über das Wachstum der Bakterien liefern und dazu beitragen, wie diese kontrolliert und gelenkt werden kann: Ist es möglich, Prozesse zu entwickeln, damit Bakterien als räumlich-textiles Objekt wachsen?
Cluster 6 oder meine Kollegin, die Maschine?
„You look a bit tired, I suggest you grab a coffee.“ „I would not formulate that sentence that way.“ „I gathered that you are a morning person. Start the afternoon in the meditation zone.” Mit „Queen B“ spekuliert das Studio LONK über die Atmosphäre eines zukünftigen „Smart-Office“. Die Arbeitsumgebung ist vollgepackt mit Kameras und Sensoren, die alles dokumentieren, analysieren und protokollieren, was vor sich geht. Die einen wähnen sich hier behütet und unterstützt, die anderen schlicht überwacht und bevormundet …
Digitale Assistenzsysteme, Brain-Computer-Interfaces, Machine-Learning-Applikationen … Ob zuhause und in unserer Freizeit genau wie bei der Arbeit – wir interagieren immer öfter und immer enger mit Maschinen und Programmen. Station 6 der Ausstellung befindet sich mitten in der großen Schau „Understanding AI“ und handelt davon, dass die bloße Nutzung von Werkzeugen und Tools immer mehr einem zweckorientierten Zusammenarbeiten von Menschen und Maschinen weicht.
Die gute alte Handwerkskunst ist das Maß aller Dinge – und deshalb häufig Inspirationsquelle für Technologieentwicklung. Was wäre, wenn wir hochkomplexe und feingliedrige Dinge wie etwa das Puppenspiel digitalisieren und replizieren könnten? Welche Möglichkeiten würden sich damit eröffnen? Mit „Pinocchio“ lassen das Labor Kreative Robotik an der Kunstuniversität Linz und das Ars Electronica Futurelab das klassische Spiel mit Marionetten auf moderne Industrieroboter treffen und Mensch und Maschine eine symbolträchtige Choreografie gestalten…
Was bedeutet das für uns und unser Verständnis von „Arbeit“? Wird sich das zwischenmenschliche Zusammenarbeiten dadurch verändern? Welchen Stellenwert und welche Rolle hat die „menschliche Arbeitskraft“ in der Zukunft? Wer trifft wie Entscheidungen und wer übernimmt Verantwortung? Und werden Maschinen einmal wirklich so etwas wie „Kolleg*innen“ sein – oder bleiben sie am Ende doch bloß Werkzeuge?
Das LIT Law Lab der Johannes Kepler Universität beforscht die Potenziale der Digitalisierung von Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Es geht um die Betrachtung des technisch Möglichen, rechtlich Erlaubten und rechtspolitisch Gewollten. Mit der Installation „KI-Wahrheitsmaschine“ thematisiert das LIT Law Lab die Chancen und Herausforderungen der Wahrheitsfindung durch eine Maschine. Ein von Converus® zur Verfügung gestelltes System ermittelt dafür die Wahrheit auf gänzlich andere Weise als Richter*innen aus Fleisch und Blut: Im Rahmen eines KI-gestützten Prozesses werden Augenbewegungen und Pupillenveränderungen der Befragten präzise analysiert.
Unabhängig davon, wie wir unsere Rolle und jene der Maschinen in Zukunft gestalten, in einem größeren, globalen Kontext stellt sich die Frage, welche ökonomischen, ökologischen, sozialen und politischen Kreise eine von Technologie durchdrungene Lebenswelt zieht.
„Alexa, turn on the hall lights!“ Es sind recht kurze, knappe Kommandos wie dieses, die tagtäglich in Millionen Haushalten in aller Welt ein ums andere Mal eine riesige Matrix von Kapazitäten aufrufen: verflochtene Ketten von Ressourcengewinnung, menschlicher Arbeit und algorithmischer Verarbeitung über Netzwerke von Bergbau, Logistik, Vertrieb, Vorhersage und Optimierung. Das Ausmaß dieses Systems liegt jenseits unserer Vorstellungskraft. Mit „Anatomy of an AI“ haben Vladan Joler und Kate Crawford Pionierarbeit geleistet. Im Zuge einer beeindruckend ausufernden Recherche skizzieren sie am Beispiel eines sprachgesteuerten, internetbasierten Smart Assistent wie Amazon Echo eine anatomische Karte eines einzelnen KI-Systems, die uns hilft, Komplexität und Auswirkungen unseres Handels zu erahnen …
Cluster 7 und „Humanizing Technology“
Technologie soll „menschlicher“ werden. Aber was bedeutet das? Nun, vor allem zwei Dinge: Erstens soll Technologie nicht bloß einen ökonomischen, sondern vor allem einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen und zweitens soll sich ihre Entwicklung an unseren Bedürfnissen orientieren und nicht umgekehrt, wir Menschen uns an Technologie anpassen müssen. Welche Rolle wir Menschen und unsere Kreativität in einer zunehmend automatisierten und digitalisierten Arbeitswelt spielen könnten, zeigt Station 7 der Ausstellung. „AI x Music“ lautet das Motto im dritten Obergeschoss des Ars Electronica Center, wo dann auch eine Reihe von Best-Practice-Projekten am Beispiel der Musik vor Augen führen, wie sich das Zusammenspiel von Menschen und Maschinen historisch entwickelt hat – und welch innovativen Formen es heute annimmt …
Ob Ali Nikrangs „Ricercar: An AI-Based Music Companion“, das schon bald eine intuitive Schnittstelle zwischen einer*m menschlichen Künstler*in und einem KI-basierten Kompositionssystem schaffen will oder Moritz Simon Geists Musikrobotersystem „TOC ONE“, mit dem sich aus so gut wie allen Objekten auf diesem Planeten Klänge und Rhythmen erzeugen lassen – die Arbeit in und an der Zukunft verspricht spannend zu werden!
Die Arbeit in und an der Zukunft
08.06. – 12.09.2021
Ars Electronica Center
Ars-Electronica-Straße 1
4040 Linz
www.ars.electronica.art