12.07. – 31.10.2020.
Die Vorarlberger haben es gut. Sie können einfach sagen: „Wenn ich den See seh, brauch ich kein Meer mehr.“ Im Martinsturm in der Bregenzer Oberstadt ist in diesem Sommer eine Ausstellung zu sehen, die en passent eine subtile Frage dieses Corona-Sommers aufwirft: „Kann denn Baden Sünde sein?“
Wenn wir uns die permanenten Warnungen, man möge in diesem Jahr lieber im eigenen Land bleiben, weil eine Reise ans Meer im Interesse der heimischen Wirtschaft „unpatriotisch“ wäre vergegenwärtigen, könnte man fast meinen: Ja. Schon. Ist wohl Sünde. Die Sehnsucht nach dem Meer sollte man doch lieber in eine noch undefinierbare Post-Corona-Zukunft verschieben. Oder nach Vorarlberg. Da gibt es ja das „Meer der Allemannen“.
Die Ausstellung im Martinsturm ist eine kulturgeschichtliche Rückschau. Sie macht sichtbar, wie die Veränderungen der vorherrschenden Werte und Moralvorstellungen auch in der Kultur des Badens im Bodensee zum Ausdruck gekommen sind.
Das Baden im See hat in früheren Jahrhunderten vor allem der Köperhygiene gedient. Schwimmen konnte noch bis ins frühe 20. Jahrhundert ohnehin nur ein Bruchteil der Bevölkerung. Während im Mittelalter und noch bis ins 17. Jahrhundert große Freizügigkeit zwischen den Geschlechtern geherrscht hat, hatten die Pestepidemien und die Verbreitung der Syphillis auch Auswirkungen auf die Sexualethik und kirchlichen Morallehren in Mitteleuropa. Der nackte Körper und der freizügige Kontakt zwischen den Geschlechtern wurden nicht zuletzt auch deshalb tabuisiert. Pandemien und Moral standen also schon in früheren Zeiten in unmittelbarer Wechselwirkung zueinander: Die später errichteten ersten Badeanstalten am Bodensee wurden den vorherrschenden moralischen Paradigmen ihrer Zeit entsprechend daher auch streng in Bereiche für Frauen und Männer getrennt.
Heute beobachten wir vor dem Hintergrund der Corona-Krise ein Pandemie bedingtes Phänomen, das man übertragen auf die Badekultur auch als „neuen Nationalismus des Badens“ bezeichnen könnte: Wer in ferne Länder und ans Meer fährt handelt unmoralisch, lautet die Botschaft. Die Corona-Krise macht unsere Welt nicht nur physisch sondern auch geistig wieder klein. Gerade für Regionen, die vom Tourismus und auch von geistiger Weltoffenheit leben, eine längerfristig nicht ungefährliche politische Neudeutung. Zum Glück ticken die Uhren im Ländle aber immer ein wenig anders. Wien ist weit weg und der Bodensee war immer schon Bindeglied eines gemeinsamen Kulturraumes zwischen mehreren Ländern. Und bleibt es auch.
Die Moral geht baden.
So ist es auch kein Zufall, dass sich das Seeufer in Bregenz rund um das Strandbad in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Art kulturellem Ankunftsbahnhof für das ganze Land gewandelt hat:
Zwischen den Bootsanlegestellen für die Bodenseeschifffahrt im Norden und dem Bootshafen des Bregenzer Segelclubs im Süden ist ein Uferabschnitt entstanden, der heute von Kulturellen- und Freizeitnutzungen dominiert wird: Kunsthaus Bregenz, Vorarlberg Museum und der Festspielbezirk mit der Seebühne und dem Festspielhaus befinden sich dort in unmittelbarer Nachbarschaft. Eingebettet in eine ständig wachsende Kollektion an Kunstprojekten im Öf- fentlichen Raum: Von Gottfried Berchtolds Betonporsche neben dem Kunsthaus oder seiner Bronzeskulptur „Ready Maid“ beim Festspielhaus bis zu Gerry Ammans Licht- tunnel bei den Sunset Stufen nahe der Bootsanlegestelle. Der richtige Rahmen für zahlreiche Konzerte auch in diesem Sommer: Von den Bregenzer Festtagen bis zu den Finkslinngs am See.
Fazit: In Vorarlberg geht die Kultur nicht baden. Auch nicht in Corona-Zeiten.
„Kann den Baden Sünde sein“
12.07. – 31.10.2020
Martinsturm
Oberstadt, Martinsgasse 3b
6900 Bregenz
www.bregenz.gv.at/kultur/martinsturm/sonderausstellung/
Unvergessliche Zeit – Kunsthaus Bregenz
bis 30.08.2020
www.kunsthaus-bregenz.at
Bregenzer Festtage
15.08. – 22.08.2020
www.bregenzerfestspiele.com
Finkslinngs am See
19. / 26.08.
www.evelynfinkmennel.at/events/
Kunst im öffentlichen Raum – Übersicht
www.vorarlberg.travel/kunsthaltestellen/