Graz Kulturjahr 2020 / Graz

(c) Kulturjahr 2020: Neigungsgruppe K.O. Martin Behr, Johanna Hierzegger, Markus Wilfling

Wie wollen wir leben? Diese Frage steht im Mittelpunkt des Kulturjahres Graz 2020. Angesichts der Coronakrise ist die schnelle Antwort einfach: So nicht! 

Wir leben in Zeiten einer „demokratischen Zumutung“. Viele unserer Grundrechte werden durch die Coronakrise beschnitten: Reisefreiheit, Niederlassungs- und Bewegungsfreiheit, Erwerbsfreiheit etc. Überall sind wir Einschränkungen unterworfen. Sogar die Polizei wurde jetzt gesetzlich ermächtigt, in die ansonsten grundrechtlich geschützte Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger einzudringen: zum Contact-Tracing. 

Als der Programmcall für das Kulturjahr Graz 2020 formuliert wurde, war von Covid 19 noch keine Spur. Im Mittelpunkt des Konzeptes stand die Frage: „Wie wollen wir leben?“. Niemand konnte damals ahnen, welche neue Dringlichkeit die in den Programmprojekten aufgeworfenen Themen gerade durch die Corona-Krise plötzlich bekommen würden. 

Deshalb haben sich die Programmkoordinatoren rund um Christian Mayer auch dazu entschlossen, das Programm, das im März durch den Shutdown jäh gestoppt wurde, gemeinsam mit den Künstlerinnen und Künstlern bis 2021 zu verlängern, um den Projekten den Raum zu geben, den sie verdienen und ihre Inhalte aus neuer Perspektive zu betrachten. 

Während wir uns wohl noch so lange mit den Corona-bedingten Einschränkungen unserer Grundfreiheiten herumzuschlagen haben, bis ein Impfstoff verfügbar ist, gilt es schon jetzt unsere Sinne und Aufmerksamkeit dafür zu schärfen, wie wir unser Zusammenleben nach dieser Zeit gestalten wollen. 

Soziales Miteinander, Digitale Lebenswelten und Arbeit von Morgen sind zentrale Themen, die in den letzten Monaten neue Dimensionen bekommen haben. Ausgehend von der Idee „Kultur schafft urbane Zukunft“ beschäftigen sich die Projekte mit lokalen Gegebenheiten, die durch globale Entwicklungen beeinflusst werden – von Migration und Diversität bis hin zu den Auswirkungen der Digitalisierung oder eben einer Pandemie. 

„Man wird nicht nur unsichtbar, wenn man alleine Zuhause ist, sondern man ist auch nicht mehr hörbar“, sagt Eva Hofer vom Theater im Bahnhof. In der Produktion This City’s Loneliness / Die Einsamkeit dieser Stadt geht sie mit Johannes Schrettle und Christina Le- derhaas, von workinglifebalance ltd., dem Thema der urbanen, menschlichen Einsamkeit nach. „Es geht um den eigenartigen Widerspruch zwischen einer großen Menge an Leuten auf engem Raum und einer Anonymität, die für viele zum Problem wird“, sagt Schrettle. Gemeinsam mit 13 Menschen aus Graz und Umgebung haben sie eine Show für den Andritzer Hauptplatz konzipiert: 

Die live Performance der drei KünsterInnen wird begleitet von Audioaufnahmen der Be- teiligten, die zuhause bleiben und von einem Spektakel der Liebe und Angst erzählen, wie es hätte werden können. Stille, Sprechen, Kreischen aber auch kollektives Schreien werden zum Ausdruck der Einsamkeit und dem Wunsch nach Kontaktaufnahme. 

Urbane Zukunft gestalten 

Politik und Stadtplanung können in vielfältiger Weise dazu beitragen, der Vereinsamung entgegenzuwirken, sind die KünstlerInnen überzeugt. Zum Beispiel im Schaffen von gemeinsamen, konsumfreien Flächen und leistbaren Wohnräumen, wo menschliche Begegnung und ein Zusammenleben stattfinden können. 

Mit diesen Themen beschäftigt sich auch das Projekt Grazotopia von Ana Jeinic. Grazotopia ist ein Experiment der partizipativen utopischen Stadtplanung und Wohnpolitik, das gemeinsam mit Expertinnen und Experten, Studierenden und Interessierten in Talks und Workshops Zukunftsentwürfe erarbeitet, die am Ende in einer Ausstellung präsentiert werden. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei auf die wenig beachteten Stadtteile Lend, Geidorf, Eggenberg, Andritz und Gösting gelegt. Wachstumskritische und solidarische Wirtschaftsmodelle, cyber-sozialistische Verwaltungskonzepte sowie die Gestaltung von mehr-als-menschlichen Wohngemeinschaften sind Themen, die das Projekt aufgreift. 

Das Zusammenleben in Städten und die urbane Nachbarschaft sind geprägt von Grätzln, die vor allem in Graz zu finden sind. Der heimliche Hauptplatz eines dieser Grätzl ist der Ortweinplatz, der Ausgangspunkt für die Produktion Graz. Ortweinplatz des „einheimischen“ TaO! ist. Was spielt sich am Ortweinplatz zu verschiedenen Tageszeiten ab? Wer nutzt, belebt, bewohnt ihn? Anna-Katerina Frizberg und Manfred Weissensteiner haben in Zusammenarbeit mit der Nachbarschaft eine dreiteilige Theatersoap im Freien entwickelt, die Motive, Personen und Ideen des Viertels aufgreift. 

Neue Vertrautheit auf Sicht- und Hörweite 

Andere Umgebungen der Stadt erkundet der Grazer Kunstverein, der mit dem Projekt Der Grazer Kunstverein zieht um Kultur in den Alltag integriert und im Sommer in eine Buschenschank in Ries und in einen verlassenen Aufzugsschacht in Gösting zieht. 

Das Klangforum Wien geht auf Abstand und macht die ursprünglich geplanten Wohnzimmerkonzerten zu Innenhofkonzerten mit der Produktion Happiness –Seriousness / A Counterpoint. Auch die Neigungsgruppe K.O. passt sich den Umständen an und macht aus den 7000 Pfeffersprays, die an die Grazer Bevölkerung verteilt werden sollten, kurzerhand 5000 Desinfektionssprays. Das Sicherheitsbedürfnis hat durch die Entwicklungen rund um das Coronavirus zu einer neuen Ausrichtung geführt – nach Meinung der Neigungsgruppe rund um Johanna Hierzegger, Markus Wilfling und Martin Behr liegt es in unserer gemeinsamen Verantwortung, einen Beitrag gegen diese Bedrohung zu setzen. 

Wie sieht eine urbane Zukunft aus, in der wir gemeinsam leben wollen? Christina Lederhaas weiß für sich: “In einer Stadt mit mehr Bäumen, Platz für Fußgänger und einer seriösen Einbindung der Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner.“ Wie sich diese Bedürfnisse im Hinblick auf Sicherheit, sozialen Austausch und den Erhalt der Grundrechte durch die Coronakrise verändert haben, wird eine der nächsten Herausforderungen sein, mit der man sich in Zukunft beschäftigen werden muss. 


Der Grazer Kunstverein zieht in die Buschenschank
Heurigenschenke Sattler
24.07.2020
18:00

Etepetete Poetry Slam
Christoph Steiner und Yannick Steinkellner
Kirchplatz Herz-Jesu Kirche
05.08.2020


Der Grazer Kunstverein zieht in einen verlassenen Aufzugsschacht
Haltestelle Volksschule Gösting
07.08.2020
20:00


Grazotopia
Ana Jeinić
UtopieInkubator, UtopieSchule, Utopielabor
Forum Stadtpark
10.09. – 30.09.2020







5000 Desinfektionssprays – Intervention
Jänner bis Dezember 2020
www.creativeaustria.at/2020/06/23/graz-2020-5000-desinfektionssprays-graz/

Dystoptimal – Augmented Reality Game
01.07. – 31.12.2020
www.creativeaustria.at/2020/06/23/graz2020-dystoptimal-graz/ 


Humming Room – Klanginstallation
Juli bis Oktober 2020
www.creativeaustria.at/2020/06/23/graz-2020-humming-room-graz/

This City’s loneliness – Performance zum Phänomen der Einsamkeit
28.07. – 01.08.2020
www.creativeaustria.at/2020/06/23/graz-2020-this-citys-loneliness-graz/ 

Happiness – seriousness / a counterpoint – Wohnzimmerkonzerte
06. – 08.08. und 17. + 18.10.2020.
www.creativeaustria.at/2020/06/23/graz-2020-happiness-seriousness-a-counterpart-graz/

Graz.Ortweinplatz – Theater Performance
07. – 15.08.2020
www.creativeaustria.at/2020/06/23/graz2020-graz-ortweinplatz-graz/

Eve or Adam or what – Videoanimation
Eröffnung 12.09.2020
www.creativeaustria.at/2020/06/23/graz2020-eve-or-adam-or-what-graz/ 

Die Stadt und das gute Leben – Ausstellung, Forschungsprojekt
Eröffnung 18.09.2020
www.creativeaustria.at/2020/06/23/graz2020-die-stadt-und-das-gute-leben-camera-austria-graz/