„Literaturhaus Graz – Chronik eines Ausnahmezustandes“

(c) Literaturhaus Graz, Wikipedia

Die Corona-Tagebücher im Literaturhaus Graz.

Jeden Freitag erscheint auf der Homepage des Literaturhauses Graz ein neuer Teil der „Corona-Tagebücher“. Mehr als 20 Autorinnen und Autoren beteiligen sich daran. Die meisten von ihnen wären eigentlich im Frühjahr im Literaturhaus Graz zu Gast gewesen. Darunter Valerie Fritsch, Kathrin Röggla oder Daniel Wisser, aber auch Birgit Birnbacher oder Thomas Stangl. 

„Wir haben dieses Projekt gestartet, weil wir davon ausgehen, dass die Reflexionskraft von Literatur auch für die innere, soziale und geistige Bewältigung der Krise gebraucht werden wird“, sagt Klaus Kastberger, der Leiter des Literaturhauses Graz. „Wir tun gut daran, die Corona-Zeit nicht als Unterbrechung des Lebens zu sehen, sondern als einen Teil, der ganz wesentlich dazu gehört.“ Denn diese Zeit bringt viele unmerklich kleine Veränderungen mit sich: 

„Der Ton verändert sich rasant, in dem Anweisungen an das Personal durchgegeben werden, ja, es sind Befehle, sie sind sofort umzusetzen, alle Bilder abhängen, die Bücher im Korridor weg, alles was nicht desinfiziert werden kann, kommt in den Keller, ab sofort als Isolationsstation für Infizierte zur Verfügung gestellt, jawoll. Wir versuchen uns umzugewöhnen, keine Diskussionen, steile Hierarchien, keine Entscheidungsbäume, Hände ständig waschen und desinfizieren, Masken tragen, Sicherheitskontrollen am Eingang. Die Frage, ob man sich daran so sehr gewöhnt, dass man es nachher auch gar nicht mehr anders denken kann?“ 

notiert Melitta Breznik am 27.3. in ihrem Corona-Tagebucheintrag. Die Krise führt uns auch die Paralyse einer auf Selbstoptimierung und Selbstverwirklichung getrimmten Gesellschaft vor Augen. Valerie Fritsch schreibt am 29.3.: 

„Überall sprießen die Katharsisphantasien, man will sich läutern und das Beste aus al- lem machen. Man könnte meinen, manchen Leuten wäre es gar nicht möglich ohne eine nie dagewesene Krise die Wohnung aufzuräumen, das Badezimmer zu putzen, Kaiserschmarrn zu kochen. Die, die es sich leisten können, besinnen sich auf sich selbst, erleben die Erweckung des Ichs, als ließe einen erst eine höhere Macht über die eigenen Wünsche und Grenzen nachdenken.“ 

Klaus Kastberger sind nicht zuletzt die wirtschaftlichen Grenzen vieler Autorinnen und Autoren bewusst. Für viele sind Lesungshonorare ein wesentlicher Teil ihres Grundeinkommens, das sie jetzt Corona-bedingt für Monate verlieren. 

Die Corona-Tagebücher des Literaturhauses Graz sollen da zumindest eine gewisse Kompensation schaffen. „Damit schaffen wir gleichzeitig auch die Möglichkeit, den Autorinnen und Autoren sofort Honorare zahlen zu können. Die Autoren liefern einmal in der Woche einen Text ab und werden dafür vom Literaturhaus Graz entsprechend honoriert“, sagt Kastberger. Thomas Stangl hat am 17.3. folgenden Text abgeliefert: 

„Phantasien, Gutes zu tun: massenhaft Bücher bei kleinen Buchhandlungen zu bestellen, den Kassiererinnen im Supermarkt Trinkgeld zu spendieren etc. Weiter reichen nicht einmal die Phantasien, Gutes zu tun.“ 

Wie es scheint, ist der Staat der Phantasie seiner Bürger im Moment deutlich voraus, wie Robert Pfaller am 17.3. notiert: 

„Erfrischend immerhin zu sehen, dass der Staat handeln kann, wenn er will! Das waren wir in den letzten Jahrzehnten ja nicht mehr von ihm gewohnt.“ 

Um seine Handlungsfähigkeit noch auszuweiten, will er sogar Tracking-Apps einsetzen. Dabei bewältigen EDV-Programme trotz ihrer permanenten Onlineanbindung noch nicht einmal die einfachsten Probleme, wie Daniel Wisser am 26.3. feststellt: 

„Die Rechtschreibprüfung unterwellt das Wort Klopapierknappheit.“.


Literaturhaus Graz – Corona-Tagebücher:
www.literaturhaus-graz.at

Guide zu Kleinen Buchhandlungen, bei denen man massenhaft
Bücher Online bestellen kann:
www.creativeaustria.at/onlinebuchhandlungengraz