„Diagonale’19“ / Graz

Pia Hierzegger und Mavie Hörbiger in "Der Boden unter den Füßen" von Marie Kreutzer.

19.03.2019 – 24.03.2019; Graz
Ausgehetzt. Das Filmprogramm der diesjährigen DIAGONALE in Graz demaskiert die Wechselwirkungen von Leistungsethos, Populismus und gesellschaftlichem Zerfall

Der Festivaltrailer, den Johann Lurf für die DIAGONALE 2019 in Graz gestaltet hat, macht unmissverständlich deutlich welche Haltung dem Programm des Festivals zugrunde liegt: Das Bild eines sich immer schneller auf nasser Fahrbahn drehenden Rades wird unterbrochen von den Einblendungen: „Bedrohung konstruieren“, „Hetze“, „Wahlen gewinnen“, „vom Wesentlichen ablenken“, „mehr Hetze“, „mehr soziale Kälte“, „mehr soziale Konflikte“, „mehr Wahlen gewinnen“, „Nationalismus ist Gift für die Gesellschaft“.

Jedes Filmscreening auf dem diesjährigen Festival wird von diesem Trailer eingeleitet.

Die Diagonale Intendanten Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber, deren Vertrag heuer um 3 Jahre verlängert wurde, haben ein Festivalprogramm zusammengestellt, das die Finger auf die Schmerzpunkte der Gegenwart legt.

Der Eröffnungsfilm „Der Boden unter den Füßen“ von Marie Kreutzer macht deutlich, zu welchen gesellschaftlichen Erosionsprozessen das Primat des Leistungideals in unserer Gesellschaft führen kann. Die erfolgreiche Unternehmensberaterin Lola (Valerie
Pachner) wird durch den Suizidversuch ihrer Schwester Conny (Pia Hierzegger) aus der Illussionskulisse ihres gehetzten, auf Selbstund Profitoptimierung getrimmten Lebens gerissen. Der Film zeichnet eine subtile cineastische Analyse davon, dass die neoliberalen Glücksversprechen wohl niemals einlösbar sind, weil sie gleichzeitig den Raum für echte zwischenmenschliche Begegnungen auffressen.

Das „Nature Theatre of Oklahoma“ interpretiert Elfriede Jelinek neu

Die filmische Adaption von Elfriede Jelineks „Die Kinder der Toten“, ist ein trashiges Splatter-Schauermärchen. Eine Abrechnung Jelineks mit Österreichs postnazistischem Erbe. Der experimentelle Film wurde im Rahmen eines gleichnamigen Projektes im Rahmen des steirischen herbst mit dem Ensemble des „Nature Theatre of Oklahoma“ in der Ost- und Obersteiermark gedreht und macht auch Mechanismen sichtbar, wie sich rechtsnationalistisches Gedankengut in wirklichkeitsfernen Gesellschaftsblasen über Generationen weiter tradieren kann.

Der Dokumentarfilm „Inland“ von Ulli Gladik analysiert die Wechselwirkungen zwischen Wahlkampagnen der Nationalratswahlen 2017 und Menschen aus „einfachen Verhältnissen“ die im „Roten Wien“ sozialisiert wurden. Der Film gibt intime Einblicke in die schrittweisen Verschiebungen politischer Weltbilder, in denen sozialdemokratische Kernwerte wie Solidarität von dumpfen Hassparolen bis hin zur Forderung nach „einem Bürgeraufstand gegen Ausländer“ verdrängt worden sind.

„Refugee Lullaby“ von Ronit Kertsner

Im Dokumentarfilm „Refugee Lullaby“ erzählt Ronit Kertsner die Geschichte von Hans Breuer, dem letzten Wanderschäfer Österreichs. Mit seiner Schafherde ist er regelmäßig im österreichisch-ungarischen Grenzgebiet unterwegs und begegnet dabei immer wieder Flüchtlingen, denen er seine Aufmerksamkeit schenkt und wo er kann weiter hilft. Der Film ist eine Hommage an einen Menschen, dessen Lebensentwurf gar nichts anderes zulässt als ein fürsorgliches, solidarisches Miteinander.

Die DIAGONALE 2019 lädt ein zum genauen Hinschauen auf eine politische Gegenwart, in der Menschlichkeit zu einem flüchtigen Gut geworden ist.

Diagonale’19
19.03.2019-24.03.2019
Various locations
Graz
www.diagonale.at