20.09. – 14.10.2018; Graz.
Volksfronten in Bewegung.
Die neue Intendantin des steirischen herbst, Ekaterina Degot geht in Frontstellung: „Volksfronten“ lautet das Motto des diesjährigen Programmes, bei dem Degot auch mit einigen Festival-Gewohnheiten der vergangenen Jahre bricht. Sie baut das Kernprogramm des Festivals wie einen Parcour quer durch die Stadt auf, den sie als eine an zahlreichen Orten der Stadt gleichzeitig erfahrbare Gesamtausstellung verstanden wissen will.
Mit ihrem Programm will sie den vielen kleinen „Alltagsfaschismen“, wie sie es nennt, auf die Spur kommen, die heute wieder zunehmend sichtbar werden: „In meiner Sicht beginnt Faschismus sehr klein. Mit kleinen Schritten auf diesem Weg zum Nationalismus. Auch Patriotismus steht für mich bereits unter Verdacht. Denn alles, was mit dieser exklusiven Liebe von Vaterland oder Mutterland zu tun hat, ist für mich etwas, was zu diesen kleinen ersten Schritten auf dem Weg zum Faschismus führt“ sagt Degot. „Es geht um diesen Isolationismus. Es geht um diese Prozesse, von denen wir aus der Geschichte wissen, wo sie geendet haben. Es geht für mich um diese nationale Mobilisierung für einige – vordergründig – sehr positiven Sachen. Faschismus beginnt nicht dort, wo jemand sagt: Weg mit den Juden, Slawen oder Ähnlichen. Er beginnt mit den Forderungen nach mehr Land, mehr Arbeit, der Forderung nach „besserem Verständnis“ von Geschichte. Er beginnt mit scheinbar positiven Dingen. Das aus dieser Perspektive zu sehen, halte ich für sehr wichtig.“
Der Plural Volksfronten im Festivaltitel ist für Degot programmatisch: „Eine einzige Front gibt es nicht“, sagt sie „Wenn wir es retrospektiv betrachten, sehen wir das relativ klar. Es gibt zum Beispiel auf den ersten Blick vielleicht eine Front von allen progressiven Leuten. Meistens links orientiert, aber von radikalen Linken bis zu liberalen Linken, die sich gegen den Faschismus engagieren. Und in manchen Fällen – in Frankreich zum Beispiel – haben sie auch gewonnen. Wir sehen heute, dass es im Lager der linken Kräfte verschiedene Positionen und Meinungen gibt. Und man fühlt, dass diese Gesamtfront nicht existiert. Sie ist fragmentiert. Wir müssen uns auf sehr verschiedene Weise bei verschiedenen Fragen positionieren. Wir können beobachten, dass sich auch Linke gegen Migranten positionieren und sich andererseits verschiedene Rechte für mehr Wohlfahrtsstaat oder soziale Gleichheit aussprechen. Die politischen Positionen sind heute viel mehr vermischt und fragmentiert als früher. Deshalb habe ich den Plural: „Volksfronten“ gewählt. Es gibt heute viele Fronten, zwischen denen jeder Einzelne seine eigene Position finden muss.“
Degot will ihr Programm aber keinesfalls als einen „Ort der Alternativpolitik“ verstanden wissen: „Wir bleiben auf der Ebene der Kunst. Unsere Künstler arbeiten in vielen Fällen mit Fiktion. Das ist nur eine Deutung oder eine alternative Vision der Zukunft, der Realität oder der Vergangenheit. Es geht beim Festival vordergründig nicht darum, Menschen zu mobilisieren etwas zu machen. Natürlich gibt es manchmal auch Künstler, die mit solchen Mechanismen arbeiten. Aber das ist nicht unsere generelle Aufgabe. Wir wollen Menschen stimulieren, mehr zu reflektieren, mehr zu denken. Gerade durch künstlerischen Arbeiten und Visionen.“
Das Kernprogramm des diesjährigen steirischen herbst verwischt die Genregrenzen noch mehr, als man das schon aus vergangenen Jahren gekannt hat. Vermittlungsschwierigkeiten sieht Degot dabei jedenfalls nicht: „Die Vermittlung eines solchen, über die Genres hinweg konzipierten Programmes, ist aus meiner Sicht sogar sehr viel einfacher. Denn es geht um Geschichten. Es geht um verschiedene Geschichten, die Künstler erzählen. Über verschiedene Orte. Über verschiedene Momente der Geschichte. In welchem Medium sie das sehen, das ist sogar für mich irrelevant.“
Wichtig ist Degot aber die genaue Verortung von Kunst im Hier und Jetzt: „Ich finde Graz faszinierend,die ganze Steiermark, weil es ein Land an der Grenze ist. Das ist immer interessant, um sehen zu können, was das eigentlich bedeutet. Man sieht dabei, wie faszinierend es ist, wenn so viele unterschiedliche historische Kontexte zusammenkommen. Zeitgenössische Kunst zu produzieren, die in einem Dialog mit so einem Kontext sein könnte, ist eine große Aufgabe. Für mich ist es wichtig, dass ein Festival nicht im Nirgendwo passiert, sondern an einem präzisen Ort zu einem präzisen Moment in der Zeit. Und ich wünsche mir, dass es uns gelingt, hier Kunst zu produzieren, die sich aus diesen Bedeutungszusammenhängen entwickelt.“
steirischer herbst ’18
20.09. – 14.10.2018
www.steirischerherbst.at
Eröffnung
20.09.2018
Bread & Puppet Theater
Performance und Umzug
17.00 Uhr, Treffpunkt Europaplatz
Roman Osminkin
Performance und Intervention
19.30 Uhr, Schlossbergplatz
Laibach
Musikperformance
21.00 Uhr, Kasematten, Schlossberg
Volksfronten all over Graz
Einige Stationen:
21.09. – 14.10.2018
Milica Tomić
Forum Stadtpark
Henrike Naumann
Haus der Architektur,
Ines Doujak
Kulturzentrum bei den Minoriten
Funda Gül Özcan
Ehemalige Ankara Türkü Bar, Griesgasse
herbstbar
Postgarage Café
Dreihackengasse 42
www.postgarage.at
Recherchezentrum
Archivmaterial des steirischen herbst
Palais Attems, Sackstraße 1
Büro der Offenen Fragen
Alles über das Programm 2018 anhand von 100 offenen Fragen, über zeitgenössische Kunst und Politik, Literatur und Geschichte sprechen und mit Ausstellungsparcours
Volksgartenstraße 4–6
Musikprotokoll
Zeitgenössische und experimentelle Musik
04.10. – 07.10.
Various Locations
www.musikprotokoll.orf.at