„Architektursommer“ / Graz 2018

Chairity: Deine Stadt ist dein Wohnzimmer.

08.06. – 30.09.2018; Graz.
Freiraum Eroberungen.
Grassroot-Movement: Der Grazer Architektursommer erobert die Stadt.

Ein Straßenlabor für Zivil-courage, Wohnlabors, Parkplätze die zu Vorgärten werden, Tele-
fonzellen, die eine neue Zukunft
erhalten, Hardcore Garteln, Platzbesetz- ungen, Parkerober- ungen, Ausstellungen, Installationen, Filmprogramme, Architektur-Summer-Schools, Konferenzen, Rundgänge, Exkursionen: Der Architektursommer Graz“ sprengt räumliche und geistige Grenzen und erobert die Stadt.

Möglich wurde dieses erstaunliche, als Grassroot-Movement von unten gewachsene transdisziplinäre Kulturgroßprojekt, weil in der Grazer Kultur- und Kreativszene Kooperation eine über Jahre gewachsene Selbstverständlichkeit ist.

Ob Elevate Festival, Designmonat, Lendwirbel, Galerientage, Architekturtage oder steirischer herbst: Alle relevanten Kulturimpulse die von der Stadt ausgehen, leben von der gut geübten eng vernetzten Zusammenarbeit der zahlreichen größeren und kleineren Kultureinrichtungen und Initiativen der Stadt. Einzelkämpfertum war gestern.

Das alles, ohne eigenes Programmproduktionsbudget für die einzelnen Beiträge! Zu verdanken ist dieses kleine Wunder nicht zuletzt einem der Hauptinitiatoren des Projektes: Markus Bogensberger, Leiter des Hauses der Architektur in Graz, versteht es mit seiner immer freundlich-wertschätzenden und gleichzeitig in der Sache fokussierten Art, die Menschen einzubinden.

„Der Architektursommer ist konsequent unkuratiert, aber nicht unkontrolliert“, betont Bogensberger und sieht gerade darin eine der großen Stärken: „Denn dadurch kommen auch jene Themen auf den Tisch, die in der Stadt gerade virulent sind.“ Zwar werden thematisch keine Vorgaben gemacht, aber die Initiatoren achten behutsam darauf, dass die Qualität der Beiträge stimmt, geben Anregungen für Weiterentwicklungen und führen in zahlreichen Netzwerktreffen aktive Gruppen aus den unterschiedlichen kulturellen und sozialen Bereichen zusammen, um gemeinsam Projekte vor allem zur Gestaltung des öffentlichen Raumes in die Hand zu nehmen. „Dieses offene Konzept führt auch dazu, dass Gruppen und Initiativen genreübergreifend miteinander in Berührung kommen, die sonst vielleicht nie zusammen gearbeitet hätten“, unterstreicht Bogensberger.

Damit verschieben sich gleichzeitig auch die Perspektiven von Architekten und Planern auf die eigentlichen Aufgabenstellungen für eine sozial orientierte Raumgestaltung. Experimente temporärer Freiraumumwidmungen haben so das Potenzial, zu einer eigenermächtigten sozialen Lebensraumgestaltung der gut vernetzten ewohner eines Ortes zu werden. Ein Beispiel dafür ist das Projekt „Platzmachen! Andräplatz?“ von spaceunit.network. Die Kreuzung neben der Andräkirche im Grazer Bezirk Gries ist bisher ein weitgehend unbeachteter von Autos zugeparkter Nichtort.

„Zusammensetzung. Mit Abstimmung“ Ein Straßenlabor für Zivilcourage, inszeniert von InterACT.

Für den Architektursommer wird er vom Verkehr freigeräumt und den Menschen des Viertels als sozialer Raum überlassen. Das angrenzende Büro der Nachbarschaften und die Andräkirche, die der der kunstbegeisterte langjährige Pfarrer Andreas Glettler – heute Bischof in Innsbruck – zu einem der spannendsten und auch kontroversesten sakralen Orte der Gegenwartskunst gemacht hat, gewinnen dadurch im multikulturell geprägten Griesviertel neue Bedeutung und soziale Handlungsspielräume.

Platzmachen! Andräplatz?: Raumgestaltung als sozialer Prozess

Die große Programmfülle des Grazer Architektursommers kann auch als ein Selbstaneignungsprozess jenes politischen Leerraumes gelesen werden, den die Architektur- und Raumentwicklungspolitik in der Steiermark seit einiger Zeit hinterlassen hat.

Während man in den 80er Jahren – nicht zuletzt aufgrund einer experimentierfreudigen und Qualität fördernden Wohnbaupolitik des Landes – einen guten Nährboden dafür geschaffen hat, dass sich darauf die sogenannte „Grazer Schule der Architektur“ ausbreiten konnte,  ist davon heute auf politischer Ebene wenig übrig geblieben.

Für einen qualifizierten Diskurs über Raumentwicklungs- und Architekturthemen fehlen in der Politik zurzeit ausreichend interessierte Ansprechpartner mit Gestaltungswillen. Die umfassenden baukulturellen Empfehlungen, die aus einer vor drei Jahren breit angelegten Landtagsenquete Baukultur her-vor gegangen sind, liegen gut in den Schubladen ab. Kein einziges Mitglied der Landesregierung hat es damals für wert befunden, bei dieser Enquete überhaupt anwesend zu sein.

Diesem politischen Desinteresse setzen die zahlreichen Basisinitiativen, die sich im „Architektursommer Graz“ mit ihren Projekten engagieren, ein selbstbewusstes, rebellisch-verspieltes Zeichen entgegen.

Architektursommer Graz
Various locations
08.06. – 30.09.2018
www.architektursommer.at